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DER GROßTE SIEG DER POLITIK VON MILOSEVIC IST DER SATZ: "WIR KOENNEN NIE MEHR ZUSAMMEN LEBEN"
Ansprache des Präsidenten der Republik Slowenien Milan Kucan in der Konferenz der Sozialdemokratischen Partei von Europa

Wien (Österreich), 22 July 1999

Foto: BOBO "Was ist also das Anliegen von Menschen, die eine friedliche und sichere Zukunft und kreative Arbeit für alle Menschen in Europa ohne Unterschied, auch auf dem Balkan wollen? Meiner festen Überzeugung nach ist es die Aufgabe, anstelle des schicksalschweren Satzes "Wir können nie mehr zusammen leben" die Erkenntnis "Wir müssen zusammen leben" durchzusetzen. Es ist unsere Pflicht, den Menschen auf dem Balkan zu helfen, eine Formel für ein gemeinsames Leben zu finden, in dem sie nicht gegeneinander und auch nicht bloß nebeneinander leben werden, sondern allmählich auch zusammen, miteinander," hat der President in seine ansprache auch betont.



"Wir können nie mehr zusammen leben." Keine Behauptung war in den letzten zehn Jahres des Lebens auf dem Balkan, inbesondere auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawiens, häufiger zu hören. Und dieser einfache Satz besagt die ganze schreckliche Wahrheit über die Balkankrise. In ihm liegt der größte Sieg der Politik von Slobodan Milosevic und des Regimes, das er verkörpert. Diesen Standpunkt zu akzeptieren, wäre die größte Niederlage sowohl der Grundwerte der europäischen demokratischen Überlieferung als auch der Ideale, an denen die Idee des vereinten Europas nach dem Mauerfall festhält - Frieden, Zusammenarbeit und Toleranz.

Was ist also das Anliegen von Menschen, die eine friedliche und sichere Zukunft und kreative Arbeit für alle Menschen in Europa ohne Unterschied, auch auf dem Balkan wollen? Meiner festen Überzeugung nach ist es die Aufgabe, anstelle des schicksalschweren Satzes "Wir können nie mehr zusammen leben" die Erkenntnis "Wir müssen zusammen leben" durchzusetzen. Es ist unsere Pflicht, den Menschen auf dem Balkan zu helfen, eine Formel für ein gemeinsames Leben zu finden, in dem sie nicht gegeneinander und auch nicht bloß nebeneinander leben werden, sondern allmählich auch zusammen, miteinander.

Uns obliegt also eine Aufgabe, von der viel mehr abhängt als nur das Schicksal der Menschen auf dem Balkan, vielleicht sogar mehr als nur das Schicksal der Menschen in Europa. Es geht um die künftige Geschichte. Wohin sich die Wagschale neigen wird, hängt jetzt in hohem Maße von der europäischen Sozialdemokratie ab. Diese verfügt über eine Vielzahl von politischen, wirtschaftlichen und sicherheitsmäßigen Instrumenten. Das Kosovo ist ein Prüfstein ihrer politischen Weisheit, ihrer Prinzipientreue. Für mich steht außer Zweifel, daß von ihr die Bedeutung der Euroatlantischen Organisation für die europäische Sicherheit und ihre Erfahrung aus der Balkankrise, insbesondere aus dem Einsatz der Nato im Kosovo voll berücksichtigt werden. Gerade hier ist die Überzeugung zum Durchbruch gekommen, daß Menschenrechten ein Wert zukommt, der mehr Gewicht hat als die Souveränität eines Staates und daß es von nun an undenkbar sein wird, bei einer flagranten Verletzung von Menschenrechten auf die nationale Souveränität zu pochen oder sie mit der These zu rechtfertigen, es handle sich um eine interne Angelegenheit eines souveränen Staates. Diese Grundsätze können nicht etwa für eine einmalige Verwendung bestimmt oder nur auf Serbien und das Kosovo beschränkt werden. Man kann sie als Beginn eines neuen Kapitels des Völkerechts und der internationalen Ordnung, auch der Modernisierung der Vereinten Nationen auffassen. Deshalb bin ich der Einladung, an Ihren gemeinsamen Überlegungen über die Umsetzung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa teilzunehmen, besonders gerne nachgekommen. Ich sehe darin nämlich eine Chance, jenen wichtigen Schritt zu tun, der Europa, den europäischen Werten, seinen rechtlichen, wirtschaftlichen und sicherheitsmäßigen Verhältnissen, Einrichtungen, dem Wohlstand und der sozialen Sicherheit von Menschen die Tür auch zum Balkan öffnen soll. Denn wenn Europa auf den Balkan kommt, wird auch der Balkan europäisch werden und nicht mehr ein Krisenherd der europäischen Instabilität sein.

Der Mechanismus des Stabilitätspaktes soll eine Synergie von Maßnahmen für dauerhafteren Frieden schaffen und durch Entwicklung eine Region modernisieren, die in mancher Hinsicht noch immer denkt, empfindet und agiert in der Art des 19. Jahrhunderts, als Nationalstaaten in ganz Europa andersartige Menschen unterdrückten und versuchten, mit Waffengewalt Staatsgrenzen mit den Nationalgrenzen in Einklang zu bringen. Von der erfolgreichen Funktion des Paktes ist auch die Zukunft der europäischen Integration in hohem Maße abhängig. Europa ist heute noch immer in mehrere Europas geteilt. Die Verantwortung für die Wirklichkeit fordert, daß wir diese Tatsache anerkennen: es gibt die Europäische Union und den Nordatlantischen Vertrag, es gibt die Wartezimmer ersten und zweiten Ranges für den EU- Beitritt und NATO-Beitritt und es gibt ein Europa derjeniger Staaten, die Anstalten machen, die Sprache der Demokratie zu sprechen, in Wirklichkeit aber sogar auf Grund eines aggressiven Nationalismus, die alte Ordnung und die alten Denkmuster aufrechterhalten und nach Verbündeten für einen Widerstand gegen die Vorherrschaft der Menschenrechte vor der nationalen und staatlichen Souveränität Ausschau halten.

Die Gründe für eine solche Auffassung der Nation und des Nationalstaates liegen in der Vergangenheit. Darin und in den politischen Landkarten, die auf dem Balkan immer wieder von Siegern und europäischen Großmächten gezeichnet worden sind, liegen die Gründe für das Benachteilungsgefühl vieler Völker von Südosteuropa. Darin wurzeln auch die Mythen, die vom aggressiven Nationalismus ins heutige Leben gezerrt werden, um Völker für seine blutigen Kriegszüge verwenden zu können. Das gemeinsame Nachdenken über alle diese Gründe wird uns immer verläßlicher zu gemeinsamen Ansichten hinsichtlich dauerhafterer politischer Lösungen führen, in denen es keinen Platz mehr geben wird für eine retrograde Reflexion in der Art des politischen Denkens und Handelns aus dem 19. Jahrhundert.

Menschenrechte, Arbeit, Sicherheit und für Menschen, Handel, wirtschaftliche Entwicklung, Kapital und Information offene Grenzen, die schrittweise Einbindung in das stabile Europa über Entwicklungsprojekte, das ist die Hoffnung für den unruhigen Teil von Südosteuropa. Allerdings ist das auch das Lebensinteresse und die Pflicht des friedlichen, sicheren und entwickelten Teils des Kontinents.

Meiner Meinung nach gibt es einige Ausgangspunkte, auf denen man bestehen müßte, damit der Stabilitätspakt die erwarteten Ergebnisse tätigen und die Voraussetzungen für eine langfristige Stabilisierung und die europäische Einbindung des Balkans schaffen kann (diese habe ich in meinem Beitrag auf Grund meiner langjährigen politischen Erfahrung und der unmittelbaren Beschäftigung mit der Krise auf dem Boden des ehemaligen Jugoslawiens in 16 Punkten kurz zusammengefaßt, ich werde sie nicht vorlesen, sie sind allerdings in meinem Beitrag enthalten).

1. Dringend notwendig ist eine ganzheitliche Betrachtung des Balkans. Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Kosovo, Sandzak, potentiell auch Mazedonien waren oder sind akute Erscheinungspunkte des Konflikts. Die isolierte Lösung von einzelnen Krisenpunkten bringt nur eine Beruhigung des Konflikts, beseitigt allerdings nicht seine Wurzeln.

2. In den Grundlagen des Balkankonflikts liegt die geschichtlich ungelöste Nationalfrage einiger Balkanvölker. Der Grund dieses Konfliktes liegt in der Art und Weise der Lösung dieser Frage unter Heranziehung von geschichtlich überwundenen Konzepten von auf dem Blut-und-Boden Grundsatz aufgebauten Nationalstaaten mit der Aufgabe, den nationalen Lebensraum zu schützen und zu erweitern. Die Konzeption eines national "reinen" Staates stellt die ideologische und theoretische Grundlage der ethnischen Säuberung und gewaltsamen Vertreibung der Angehörigen von anderen Völkern dar.

3. Notwendig ist eine klare Identifikation der Natur von Konflikten und Kriegen, auch des Krieges gegen Bosnien und Herzegowina, mit dem klaren Standpunkt, daß es sich um einen aggressiven Krieg gehandelt hat mit dem Ziel der Eroberung von Territorien und ihres Anschlusses an große Nationalstaaten, daß diese Kriege aus den zentralen Mutterländern geführt worden sind und daß sie noch nicht beendet sind. Denn die politischen Konzeptionen, auf die sie zurückzuführen sind, sind noch nicht überwunden. Falsche Identifizierungen der Kriege bewirkten ein falsches Einschreiten der internationalen Gemeinschaft.

4. In Konflikten, auch im Kosovo, prallen dieselben Konzeptionen nationalistischer Politiken von ethnisch "sauberen" Territorien, die sich der politischen und physischen Gewalt - sei es des staatlichen oder illegalen Terrorismus bedienen, aufeinander. Die Mittel unterscheiden sich, das Ziel ist dasselbe. Milosevic hat im April 1987 in Kosovo polje an die Serben die schicksalsschweren Worte gerichtet: "Niemand hat das Recht, euch zu prügeln", weil albanische Polizisten im Kosovo wirklich auf Serben eingeprügelt haben!

5. Als moderne Alternative zur veralteten Auffassung des Nationalstaates gilt es, Elemente des Bürgerstaates durchzusetzen, der zwar nationale Attribute hat, doch auf dem Grundsatz der Ebenbürtigkeit der Bürger ungeachtet ihrer nationalen, religiösen, ideologischen oder weltanschaulichen Zugehörigkeit, auf dem Grundsatz der Toleranz und Offenheit gegenüber anderen aufgebaut sind.

6. Das Wertesystem, das in Zukunft die Grundlage dieser Staaten bilden sollte, muß auf der Herrschaft von Menschenrechten, auf der Achtung der menschlichen Würde, der Einmaligkeit des menschlichen Lebens und auf seiner Freiheit beruhen. Deshalb gilt es in ihren institutionellen Mechanismus in ihre Rechtssysteme einen effektiven Schutz der individuellen Rechte und insbesondere auch der Minderheitenrechte einzubauen.

Das in der Politik der jetzigen Regimes vorherrschende Wertesystem ist wesentlich anders. Es ist in großem Maße ein Überbleibsel der einstigen Blockteilung von Europa noch aus der Zeit, bevor der Westen über die Akte von Helsinki und ihres dauerhaften "dritten Korbes" in den Ostblock Eingang gefunden und seine Ideologie des Kollektivismus und Totalitarismus von innen zersetzt hat. Ein Teil des Balkans, insbesondere das heutige Serbien mit Milosevic an der Spitze bildet von diesem Gesichtspunkt noch immer "den anderen Block", vom Gesichtspunkt der Herrschaft von Menschenrechten aber auch eine andere Zivilisation.

7. Es gilt zu verhindern, daß an die Stelle der ideologisch-politischen Auseinandersetzungen in diesem Raum Szenarien von globalen Kultur- und Zivilisationskriegen treten, welche unter Berufung auf die Verteidigung von Kultur, Glauben und Zivilisation die fundamentalistische Gewalt entschuldigen würden. In diesem multikulturellen, multiethnischen und multireligiösen Raum des Zusammentreffens von drei großen Zivilisationen ist das eine realistische Gefahr.

8. Unter Berücksichtigung aller Besonderheiten, auch von Bosnien, Kroatien und Mazedonien, muß das Kosovo national und religiös pluralistisch bleiben. Die Wiederherstellung des beiderseitigen Vertrauens wird nicht ohne Verurteilungen für Kriegsverbrechen vor dem Tribunal in Den Haag möglich sein bzw. nicht ohne die Auseinandersetzung der Menschen mit dem eigenen Haß und der eigenen Verantwortung, denn sonst ist nicht einmal ein Leben mit sich selbst möglich, geschweige denn ein produktives Leben mit anderen. Deshalb muß für eine bestimmte Zeitspanne durch externe Faktoren - Friedenskräfte, eine internationale Zivilverwaltung, Polizei, Schulwesen - das zerstörte gegenseitige Vertrauen von Angehörigen unterschiedlicher Völker und Religionen wieder aufgebaut werden, es gilt dabei auf die Überlieferung des toleranten und produktiven Lebens zurückzugreifen, das von der nationalistischen Politik nationaler politischer Eliten zerstört worden ist.

Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei die möglichst baldige Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Häuser (nicht nur in den Saat!) im Kosovo, in Bosnien und Herzegovina und in Kroatien und die Verhinderung von Gewaltausbrüchen, die immer neue Flüchtlingswellen verursachen. Die internationale Hilfe an Flüchtlinge sollte auf ihre Heimatorte konzentriert werden, sonst wird die Registrierung der Flüchtlinge immer schwieriger, außerdem wäre im Gegenfall auch die Politik der gewaltsamen ethnischen Säuberung eine reelle Tatsache.

9. Spekulationen über die Erstellung von neuen politischen Landkarten der Balkanhalbinsel sind weder kurzfristig noch langfristig akzeptabel. Notwendig ist der harte und klare Standpunkt, daß die Grenzen auch auf dem Balkan den Grundsätzen der Akte von Helsinki entsprechen, also müssen sie offen sein. Keine Grenze kann nämlich so kontrolliert werden, daß der Haß nicht hinüber schwappen könnte. Langfristige Lösungen können nicht unter der Voraussetzung gesucht werden, daß es in Serbien immer ein nichtdemokratisches und nationalistisch-totalitäres Regime geben wird, das für eine Koexistenz mit anderen nicht im Stande sein wird, und daß aus diesem Grunde ein Eingriff in die territoriale Integrität von Serbien möglich ist. Ein solcher Ansatz wäre eine Niederlage der europäischen Demokratie, zugleich würde er aber auch zu Entscheidungen führen, die in legitime Interessen des serbischen Volkes eingreifen und es geschichtlich erniedrigen würden, was wiederum eine Quelle von neuen Konflikten darstellen würde.

10. Der Standpunkt, daß Grenzen auch auf dem Balkan nicht gewaltsam geändert werden dürfen, fordert unausweichlich die Einigkeit der europäischen Staaten, in erster Linie der großen und einflußreichen. Um der gemeinsamen Zukunft willen müssen alle europäischen Staaten für einen solchen Standpunkt gemeinsam die Verantwortung übernehmen. Auf diese Weise wird jede Möglichkeit für Spekulationen mit den einstigen Interesensphären auf dem Balkan ausgeräumt, auch jede Spekulation mit Teilbündnissen oder nichtkonsensuellen Bündnissen an der deklarierten Einhelligkeit vorbei.

11. In diesen Standpunkten und Aktivitäten muß auch der Stellenwert von Rußland überlegt werden, gemäß dem allgemeinen Standpunkt, daß aus europäischen Intergrationsprozessen und der Zusammenarbeit Rußland nicht ausgeschlossen werden kann. In Rußland gilt es ein Partnerland zu sehen, dieser Tatsache sind die institutionellen Rahmen und Mechanismen der Zusammenarbeit anzupassen.

12. Langfristig zu überlegen ist die Forderung nach Demilitarisierung oder beschränkter Bewaffnung dieser Staaten, was dem traditionellen Wettlauf um die Stellung als vorherrschende regionelle militärisch- politische Macht auf dem Balkan ein Ende setzen würde. Als aktuell gilt es Elemente der Mitarbeit dieser Staaten und der europäischen Sicherheitseinrichtungen bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, des Waffen-, Drogen- und Mädchenhandels zu überdenken, für die durch die Verhältnisse in der Region günstige Voraussetzungen gegeben sind.

13. Im Kosovo, so wie gewissermaßen auch in Bosnien und Herzegowina (die Implementierung des Dayton-Abkommens) wird auf längere Sicht eine internationale Zivilverwaltung (Protektorat der Vereinten Nationen) notwendig sein, die eine Normalisierung des Lebens ermöglichen und eine sichere Grundlage für die Wiederherstellung der Wirtschaft und der Koexistenz schaffen und zugleich die institutionellen und rechtlich politischen Rahmenbedingungen eines hohen Autonomiegrades des Kosovo innerhalb von Serbien und von Jugoslawien schaffen soll, ausgehend von dem multiethnischen Charakter des Kosovo und von der Gleichberechtigung der Bürger. Die Verwaltung muß die Tatsache berücksichtigen, daß die Albaner dort die Mehrheit sind, die jedoch die Verantwortung für die Gleichberechtigung von anderen Völkern - Serben, Montenegrinern und anderen, die dort Minderheiten sind, übernehmen muß. Demographische Trends sind im Kosovo ein reelles, nicht zu übersehendes Problem. Das dort (auf den Ansätzen der jugoslawischen Verfassung von 1974) entwickelte Autonomiemodell kann auch als Ansatz für die Autonomie der Vojvodina verwendet werden, die sich zum neuen neuralgischen Punkt von Serbien entwickelt. Autonomien müssen dauerhafte internationale Garantien haben.

14. Es gilt auch die Formen und den Modus der Entwicklung des modernen politischen Gedankens des Bürgerstaates und der Vorrangstellung der Menschenrechte, des Rechtsstaates und der offenen Gesellschaft in diesen Ländern zu überlegen, die der Herausbildung moderner Einrichtungen in diesen Staaten dienen sollen. Diesem Ziel sollen die vorgesehenen Rundtischdiskussionen über Demokratie, Menschenrechte und Minderheiten dienen, für deren Durchführung sich auch Slowenien bewirbt.

15. Die Arbeit und die freie unternehmerische Initiative müssen als Wert durchgesetzt werden, allerdings als Wert, der im Alltagsleben allen Leuten zugänglich und reell zu verwirklichen ist. Diesem Ziel soll die Förderung der Wirtschaftsentwicklung über unternehmerische Projektzusammenschlüsse und die Öffnung der Wirtschaften dieser Länder gegenüber entwickelten Ländern dienen, unterstützt und gefördert durch die entsprechenden internrechtlichen institutionalisierten Instrumente und die finanzielle Förderung bzw. Kontrolle von entwickelten Ländern. Vorschläge über Freihandelsbeziehungen zwischen südosteuropäischen Ländern sind sinnvoll, doch nur, insofern auch Wege zu den Wirtschaften der entwickelten Länder offen sind. Die Freiheit der Bewegung von kleinen Armutshäuflein kann keinen großen Haufen des Reichtums ergeben, nur die Armut häuft sich.

16. Genau zu überlegen gilt es auch die Formen der wirtschaftlichen und finanziellen Förderungen, die allerdings keineswegs auf Hilfe für die Staatsmacht hinauslaufen dürfen sondern auf die wirtschaftlich berechtigte Finanzierung von konkreten Infrastruktur- und Unternehmensprojekten, mit einer genauen Kontrolle, mit dem Ziel der technologischen und strukturellen Modernisierung dieser Wirtschaften und des Aufbaus eines für hochwertige Finanzoperationen befähigten modernen Banken- und Finanzmechanismus. Dabei könnte man sich auf das vorhandene Netz von Banken mit Gesellschaftern aus westlichen Staaten und aus Staaten des ehemaligen Jugoslawiens stützen, die noch immer auf dem ehemaligen Territorium Geschäfte tätigen. Slowenien verfügt über ein solches Netz.


Im Kosovo sind die größten Greuel Vergangenheit. Ins Haus steht die schwerste Zeit für die Bundesrepublik Jugoslawien und für den ganzen Westbalkan, auch für Bosnien und Herzegowina und gewissermaßen auch für Kroatien, Albanien und Mazedonien. Man wird noch lange genötigt sein, diesen Ländern mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Der Wiederaufbau, die Renaissance im Denken, in der Politik und Wirtschaft, ein Entwicklungsschub - das ist ein Projekt für mindestens ein Jahrzehnt, es wird teuer sein doch noch immer billiger als die immer wiederkehrenden Kriege und auf jeden Fall auch viel menschlicher.

Der Stabilitätspakt für Südosteuropa tritt in Räume ein, in denen Menschen noch immer in geschichtlich überwundener Weise denken und handeln. Doch entwickelt sich Montenegro zu einem glaubwürdigen Beweis, daß auch ein anderer Balkan möglich ist. Diesen Weg wird auch Serbien betreten müssen, das mit seiner vergangenen demokratischen Überlieferung dazu auch durchaus im Stande ist. Von Serbien selbst hängt es ab, wann es die Vergangenheit abstreifen wird. Das wird ein schwieriger Prozeß sein, er könnte auch blutig sein. Doch es gibt keine andere Wahl. Die Serben werden sich, so wie die Albaner und noch manch ein anderes Volk auf dem Balkan, vom großstaatlichen nationalistischen Isolationismus abwenden und sich auf den beschwerlichen Weg in Richtung Demokratie, Menschenwürde, Achtung des Andersseins, insbesondere des ethnischen und religiösen, eines besseren Lebens begeben müssen. Wir alle können und müssen Serbien und die anderen dabei unterstützen.

Bei allen unseren Handlungen gilt es aber auch zu bedenken, daß die Serben in den letzten zehn Jahren mit einer einzigen Wahrheit, der Wahrheit des aggressiven Nationalismus gelebt haben. Sie wurden fast unempfindlich für andere Botschaften, irgendwie autistisch. Die Intervention der NATO war ein Schock, stellte die Konfrontation mit einer anderen Wahrheit dar, die aber auch das Gefühl des Erniedrigtseins und des Zweifels an allen, die nicht zusammen mit der Belgrader Nomenklatur gegen den politischen und später militärischen Eingriff der NATO gewesen sind, mit sich gebracht hat. Sofortige Wahlen in Serbien oder sogar sofortige Sonderwahlen im Kosovo könnten heute deshalb auch ein überraschendes, der Vergangenheit verpflichtetes Ergebnis bringen, denn es gibt noch immer keine überlegte und klar erkennbare politische Wahl. Die Wahl scheint noch immer nur für oder gegen Milosevic zu sein. Doch das ist eine Wahl zwischen der elenden Sicherheit und der Unsicherheit. Realistisch und sinnvoll sind deshalb Warnungen, daß zunächst der Medienschauplatz ethisch professionalisiert und mit der Forderung nach der Abschaffung des Gesetzes, das die Pressefreiheit einschränkt, seine Autonomie und der Pluralismus hergestellt werden muß, daß moderne politische Optionen geschaffen und das latente Demokratiebewußtsein der Bürger Serbiens wieder erweckt werden muß.

Wenn Europa im Rahmen des Stabilitätspaktes mit beiden Füßen auf den Boden von Südosteuropa treten wird, werden durch den Rauch über dem Brandplatz keine wegweisenden Sterne zu sehen sein. Deshalb ist eine genaue Projektierung mit genauer Kenntnis der Lage angesagt, die auch in den Inhalten, nicht nur in den Mechanismen des Pakts ein gemeinsames und harmonisiertes Handeln aller gewährleisten soll.

Der Inhalt ist delikat und zerbrechlich, denn der wirkliche Inhalt aller Handlungen von Europa ist in diesem Fall die Freiheit. Doch ist die Freiheit nicht nur ein freier Markt, wie eine Gruppe von Akademikern aus Amsterdam in ihrer Alternative des Neoliberalismus festgehalten hat und was Festpunkt auch im Programm der europäischen Sozialdemokratie ist. Ich möchte für die Verhältnisse auf dem Balkan, insbesondere für seine Krisenherde noch einmal auf Folgendes hinweisen: Freiheit ist auch die Achtung von anderen Völkern und Religionen, von Volksgruppen und von jedweder Andersartigkeit. Freiheit ist auch eine Hilfe für die Schwachen, Solidarität, die Sorge um Umwelt und eine gute Infrastruktur, die Menschen verbindet und Wege in die Welt öffnet. Freiheit ist auch Arbeit, durch die die Menschen auf dem Balkan ihre persönliche Würde wiedererlangen und Anschluß an die moderne Arbeits- und Lebensweise finden würden. Für alle diese Faktoren von Erneuerung und Wiedergeburt sehe ich Raum innerhalb des Stabilitätspaktes für Südosteuropa. Und ich glaube daran, daß dieser Pakt diesen Teil Europas in ein freundlicheres Jahrhundert führen wird, wenn er innerlich harmonisiert handeln wird, mit einem Gefühl für die Menschen, denen er zu helfen wünscht, damit sie sich selbst werden helfen können. Die tragischen Erfahrungen sind zu tief in die europäische politische Erinnerung eingegraben. Es ist höchste Zeit, daß wir daraus lernen, anders zu leben.


 

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