Public appearances

"VERÄNDERUNGSMANAGEMENT"
Rede des Präsidenten der Republik Slowenien Milan Kuèan
„Slowenien und Österreich, Nachbarn und Partner in der künftigen EU“ - Wirtschaftskonferenz

Wien (Austria), 7 November 2001


Photo: BOBO Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Konferenzteilnehmer,

ich bin überzeugt, daß Sie bei der heutigen Konferenz eine Fülle von Informationen über die Gebarung und die wirtschaftliche Zusammenarbeit der österreichischen und slowenischen Unternehmen und die Bewertung dieser Zusammenarbeit bekommen haben, darüber hinaus auch einen fundierten Einblick in die Entwicklungs- und die Wirtschaftspolitik beider Länder. Verständlicherweise ergänzen Sie diese Ausführungen auch durch Ihre eigenen Erfahrungen, denn die sind der Maßstab für die Beurteilung anderer Informationen. Auf dieser Grundlage kann es dann nicht schwerfallen, die Erwartungen über die Zukunft unseres Zusammenlebens in der Europäischen Union zu konkretisieren, wo Österreich und Slowenien auch weiterhin Nachbarn, aber auch Partner mit gemeinsamen Interessen in dieser großen europäischen Staatenfamilie sein werden, die heute nicht nur mit den Dilemmas ihrer eigenen Zukunft konfrontiert ist, sondern auch mit den zum Teil ganz neuen Dilemmas ihrer Rolle und der Rolle Europas in der Welt, wie sie uns mit einem Mal drastisch vor Augen tritt.

Gestatten Sie mir deshalb, mit einigen Gedanken auf diese Welt einzugehen, in der Ihre Unternehmen tätig sind und in der in Zukunft auch Österreich und Slowenien das gemeinsame Los zweier Partner teilen werden. Ich denke hierbei an die Welt, deren Bild, gerade im letzen Monat, uns in vielerlei Hinsicht unbekannt erscheint, die viel brutaler und ganz anders geworden ist, als wir sie zu sehen gewohnt waren oder als wir sie bisher sehen wollten. In letzter Zeit hört man oft den Satz, daß der schwarze Dienstag am 11. September und die Anschläge in New York und Washington die Welt verändert hätten. Ich frage mich, ob dem nun wirklich so ist. Ob nicht die Welt bereits seit einiger Zeit so war, wir aber diese Andersartigkeit nicht erkennen konnten oder wollten oder uns dazu nicht überwinden konnten. Mußte das Böse tatsächlich auf äußerst brutale Art und Weise manifest werden, damit wir uns der tiefen Gegensätze und der Konflikthaftigkeit der modernen Welt bewußt wurden? Damit wir uns ernste Gedanken über sie machten und uns der schicksalhaften Zusammenhänge und Verflechtungen in ihr bewußt wurden. Damit wir die einfache Wahrheit erkannten: Was dir passiert ist, ist eigentlich mir passiert, auch wenn es sich irgendwo anders in der Welt zugetragen hat. Die Welt ist global geworden. Alles in dieser Welt geschieht sozusagen an der eigenen Schwelle, die Globalisierung ist nicht mehr der Prozeß, von dem bisher die Rede war. Die Globalität der Welt ist eine Tatsache. Verursacht durch das Kapital, die Wirtschaft, die Technologie, vor allem die Informationstechnologie, die Ökologie, leider auch die internationale Kriminalität und den Terrorismus. Offen bleibt, ob wir reif genug sind, diese Tatsache zu erkennen und sie in all ihrer Tragweite zu akzeptieren. Wahrscheinlich müssen wir uns eingestehen, daß wir bereits seit dem Ende der bipolaren Welt – symbolisiert durch den Fall der Berliner Mauer – schonungslos mit neuen, fordernderen Fragen konfrontiert sind, die sich mit den vereinfachten oder rein pragmatischen Antworten, die die pragmatische und utilitaristische Politik üblicherweise parat hat, nicht abfinden, und daß wir diese Fragen verdrängt hatten, weil sie nicht in die Vorstellung vom heiß ersehnten, fast idyllischen Bild der Welt nach dem Ende der bipolaren Zeit paßten. Diese Fragen haben viele ethische, anthropologische, philosophische, soziologische, religiöse, ökologische, politische und andere Dimensionen. Man kommt auch um die Frage nicht umhin, ob es sich tatsächlich um den Beginn des Zusammenpralls der Zivilisationen handelt, wie Huntington es formuliert hat und wie jetzt allenthalben zu hören ist. Die Antworten auf diese Fragen müssen natürlich ehrgeizig sein, müssen aufzeigen, was wir in dieser Welt verändern wollen, z. B. die Verteilung von Armut und Reichtum. Sie müssen genauso klar zum Ausdruck bringen, was von dem, das man für eine Errungenschaft der demokratischen Entwicklung der menschlichen Zivilisation hält, nicht verloren gehen darf, z. B. die universelle Herrschaft der Menschenrechte, die Rechtstaatlichkeit, das Recht auf Anderssein, die Toleranz und die Solidarität. Eine unkontrollierte Entwicklung wird keine Antworten auf diese Fragen liefern. Noch weniger wird der Zusammenprall der Zivilisationen Antworten geben können, denn dieser Zusammenprall würde nur eine Katastrophe und Schutt und Asche hinterlassen. Der einzige Weg ist der kreative und demokratische Dialog der großen Zivilisationen der Menschheit, die gewisse Fragen der modernen Menschheit und besonders gewisse Werte unterschiedlich sehen. Dabei sollen sie in diesem Dialog nicht einander ihre Sicht der Dinge aufdrängen, wie das unsere europäische christlich-jüdische Zivilisation in der Zeit des Eurozentrismus im Guten wie im Bösen fast 500 Jahre lang getan hatte. Diese Vorherrschaft ist nun unwiderruflich vorbei.

Europa ist objektiv gesehen nur ein Zentrum der menschlichen Zivilisation, nur ein Partner in diesem sich entwickelnden Dialog. Ist es für eine so aktive Rolle auch schon ausreichend vorbereitet? Darauf müssen wir unser Augenmerk lenken. Denn wenn Europa an diesem Dialog über die Zukunft der Welt teilnehmen will, und das muß es einfach, dann muß es in der Lage sein, einen solchen Dialog zwischen den Unterschieden, die ohne Zweifel innerhalb Europas bestehen, zuerst in seinem Innern zu entwickeln. Ein in vielen Bereichen noch immer gespaltenes und von Gegensätzen geprägtes Europa, ob diese nun die Folgen von alten historischen, auch politischen oder anderen Spaltungen sind oder die Vorboten von neuen, kann in einen solchen Dialog nicht eintreten. Meiner Meinung nach rückt das auch den EU-Erweiterungsprozeß in ein neues, ganz aktuelles Licht. Dieser sollte vornehmlich auch ein Prozeß des Überwindens und Beseitigens der inneren Spaltung Europas sein. Das Europa der Zukunft muß auch eine Seele haben. Die Menschen fragen nämlich nicht nur, ob und wie Europa funktioniert, sie fragen auch, was das vereinte Europa für sie persönlich bedeutet. Sie fragen nach der Kultur und den Werten Europas in weitesten, auch ethischen Sinne, und weniger nach den Regeln, den Beitragszahlungen und dem Wettbewerb. Das überlassen sie den Juristen, Ihnen, den Wirtschaftstreibenden, den Fachleuten und den zuständigen Institutionen.

Der amerikanische Soziologe Daniel Bell meint, der Nationalstaat sei heute für große Probleme zu klein und für kleine Probleme zu groß. Ein Partner im globalen Sinne kann nur ein globales Europa mit einer ganz und gar transparenten geistigen und ethischen Haltung sein, geprägt von einer erfolgreichen Entwicklung als Folge der Verwirklichung von Unternehmergeist und kreativen Kräften insgesamt, der Entwicklung seiner Vielfalt, der Evolution des Wettbewerbsprinzips und der Kooperationsbereitschaft als den beiden Grundprinzipien des Miteinanders, von Solidarität und Toleranz.

Die Herausforderungen, die gemeinsame Überlegungen erforderlich machen, sehe ich vor allem in den Spaltungen der Welt. In der Spaltung auf die Eigner von Kapital, Informationstechnologien, Know-how und Ideen auf der einen und auf die Milliarden von zu Unwissenheit, einem Leben in Armut und einem ausweglosen Schattendasein am Rande der Gesellschaft Verurteilten auf der anderen Seite. Ich sehe sie in der zunehmenden Finanzschwäche vieler Staaten, auch ganzer Kontinente, ohne Entwicklungspotential und Zukunft. Ich sehe sie in dem unaufhaltbaren Wachstum und der Kraft und Macht des globalen Kapitals, das durch seine autonome Logik und Tätigkeit schon längst die Grenzen der Nationalstaaten überwunden hat. Es trägt jedoch keine Verantwortung für die soziale Lage und die Entwicklungsperspektiven der Menschen, für die nachhaltige naturnahe Entwicklung, für Freiheit und Demokratie, Solidarität, Entwicklung, Sicherheit der Menschen, für die Zukunft, obwohl es diese Zukunft wesentlich, sogar entscheidend beeinflußt. Diese Verantwortung wird den staatlichen Verwaltungen überlassen, das Kapital bewegt sich auf ganz anderen Ebenen. Herr Barber, Präsident Clintons ehemaliger Berater für globale Fragen, machte mich anläßlich einer internationalen Konferenz, die wir vor kurzem in Slowenien zum Thema „Zukunftsmanagement“ organisierten, auf eine interessante Tatsache aufmerksam: Nach dem Terroranschlag auf das WTC in New York rief niemand Bill Gates an, die Menschen wandten sich an Bürgermeister Gulliani und Präsident Bush im Weißen Haus. Dort liegt ihrer Überzeugung nach die reale Macht und nicht beim internationalen Kapital. Hier tritt der Unterschied zwischen dem Tatsächlichen und dem Formalen zu Tage. Die Herausforderungen, die gemeinsame Überlegungen von uns allen erforderlich machen, sehe ich auch im zunehmend pervertiertem Verständnis des Wettbewerbs, das eine Produktion und Dienstleistungen mit immer weniger Arbeitskräften zur Folge hat, ohne jeglichen Sinn für die Natur, das Leben auf diesem Planeten, seine Zukunft, den Menschen, seine Würde und seine Rechte. Ich sehe sie in einer Monopolwirtschaft, deren einziges Ziel und Motivation Profit heißt. Ich sehe sie in Fundamentalismen aller Art, die die Unterschiede in der Welt nicht anerkennen wollen und jede Andersartigkeit ausgrenzen, durch rücksichtslose Anwendung von Macht, Gewalt und Diskriminierung – ich könnte, wie Sie alle, mit dieser Aufzählung noch lange fortfahren.

Moderne politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Dramen sind das konfliktreiche Abbild der gegenseitigen Beeinflussung einer Reihe gesellschaftlicher und natürlicher Kräfte und Erscheinungen in der Welt. Sie lassen sich nicht durch die pragmatische Logik der modernen Politik, der es zum überwiegenden Teil an Ideen und Visionen mangelt, aus der Welt schaffen. Die Globalisierungsgegner zeigen sehr ernsthaft und auch sehr gewaltsam die inneren Widersprüche und die Konflikte der modernen Welt auf, können aber diese Fragen nicht beantworten, am allerwenigsten der internationale Terrorismus, der überhaupt nicht nach Antworten sucht. Diese Antworten müssen erst gefunden werden. Durch den Dialog und unter Berücksichtigung dieser Warnungen, wie unangenehm und rücksichtslos sie auch immer sein mögen.

Es wird immer offenbarer, daß sich die globale Welt nicht mehr wie bisher von den Bollwerken der Nationalstaaten und der Absolutheit ihrer Souveränität lenken lassen wird. Wie diese Lenkung zu gestalten wäre, ist die große Frage an die moderne Politik, und sie wird früher oder später eine Antwort darauf finden müssen, abseits aller Stereotypen und unbefangen von historischen Kategorien, deren Zeit abläuft. Doch schon jetzt ist klar, daß die globale Welt und ihre Lenkung eine globale Verantwortung erfordern. Das ist nach meinem Dafürhalten bereits eine allgemein akzeptierte Einsicht. Leider hinkt die globale Verantwortung zur Zeit der Globalisierung des Marktes, der Technik, der Information und Wirtschaft, auch der Kriminalität noch weit hinterher. Die globale Verantwortung beginnt bei der Verantwortung jedes einzelnen Staates. Kurz gesagt: Jeder Staat müßte zur Gänze die Verantwortung dafür übernehmen, was er im eigenen Land tut, damit er mit seinem Tun in dieser vernetzten Welt niemanden gefährdet, und sensibel und verantwortlich mit jenem Tun anderer Staaten umgehen, das den gemeinsamen Frieden, die Sicherheit und den Wohlstand gefährden könnte. Es wird immer offenbarer, daß die Lenkung einer globalen Welt auch für uns alle verbindliche Regeln erfordert, Normen, an die wir uns halten wollen und deren Beachtung der neuen globalen Welt angepaßte internationale Institutionen effizient kontrollieren werden. Keine menschliche Gemeinschaft, auch keine globale, kann ohne Regeln, die ihre inneren Belange ordnen, auf längere Sicht bestehen. Hierbei kann man natürlich nicht an der UNO und ihrer künftigen Rolle vorbei.

Photo: BOBO Bei der Strukturierung eines neuen Wertesystems zur Lenkung der modernen Welt muß dem Prinzip des Wettbewerbs unbedingt das Prinzip des Miteinander zur Seite gestellt werden. Nicht nur in der Welt der Politik, sondern auch in der Welt der Wirtschaft. Eine Welt, in der Staatsgrenzen verschwinden, verwandelt sich nicht ohne weiteres und ganz von allein in eine Welt des Miteinanders und der Zusammenschlüsse. Auch eine Welt ohne Grenzen kann zum Verlust von Identität führen, zum Verlust von Sicherheit in der zwischenmenschlichen, kulturellen, sozialen Sphäre. Denn wir alle sind irgendwo zu Hause, verankert in einer geistigen und sozialen Tradition. Eine gewaltsame Entwurzelung kann Intoleranz, Ächtung, Widerstand, Konflikte und Gewalt nach sich ziehen. Deshalb noch einmal: Eine globale Welt braucht eine globale Verantwortung und eine globale Lenkung, braucht auch die Globalisierung und Globalität der Demokratie. Auch das globale Kapital muß globale Verantwortung übernehmen. Letztlich sind ein längerfristiges Wirtschaftswachstum und ein sicherer Profit auch davon abhängig, daß die Menschen im größeren Wohlstand ein sicheres und kreatives Leben führen können. Dem müssen im Grunde auch die modernste Kommunikationstechnologie und die neuesten Einsichten dienen.

Die Welt ist vernetzt, das können wir nun erkennen, und das gestattet uns, auch mir, ja, zwingt uns nachgerade, in einer Weise nachzudenken, die noch vor sehr kurzer Zeit völlig illusorisch gewirkt hätte. Vielleicht trifft das in mancherlei Hinsicht auch heute noch zu. Doch nicht mehr lange, denn das Leben wird uns dazu zwingen, unser Denken in diese Richtung zu orientieren. Ich bin überzeugt, daß Sie, an der Spitze der erfolgreichsten Unternehmen stehend, bereits auch in diesen neuen Parametern und Koordinaten der modernen Welt denken. Damit keine Katastrophe eintritt, nach der niemand übrig bleibt, um mit jemandem in Wettbewerb zu treten, Geschäfte zu treiben oder zusammenzuarbeiten, denn es gäbe keine Konkurrenten oder Geschäftspartner mehr. Innerhalb dieser neuen Koordinaten der modernen Welt kann und muß man freilich auch konkrete Überlegungen anstellen. In diese neuen Parameter kann und muß man das Bewußtsein mit einbringen, daß ein optimales und in seiner Entwicklung empfindliches Gleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit sowie die Entwicklung von sozialem Kapital und Organisationskultur der Schlüssel zur Entwicklung von Unternehmen und zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, auch der Wettbewerbsfähigkeit von Staaten und der Wettbewerbsfähigkeit Europas in einer globalen Welt sind. Dem europäischen Provinzialismus muß der europäische Globalismus entgegengehalten werden. Wir kleine Völker und Staaten glauben an ihn, denn der Hauptmotor eines globalen Europa und seiner effizienten Plazierung in der Welt sind Ideen, die nicht im Provinzialismus zu Hause sind.

Dabei zählt, meine Damen und Herren, nicht die Größe, wichtig sind die Menschen. Die gefragteste Ware der Welt sind heute Ideen. Die am weitesten entwickelten Teile der globalen Welt werden zu Ideenlaboratorien. Durch eine Zusammenarbeit der EU- als auch der Reformstaaten bzw. EU-Beitrittswerbern bei der Schaffung des neuen Europabildes des dritten Jahrtausends könnte man ein europäisches Ideenlabor für die Mitgestaltung einer Welt „nach menschlichem Maß“ schaffen. Die Zukunft, die fast beinahe schon Wirklichkeit ist, wenn Österreich und Slowenien nicht nur Nachbarn, sondern auch Partner in der EU sein werden, birgt die Chance, gemeinsam, durch Ideen, Taten, Initiativen und Errungenschaften Europa in diese Richtung zu lenken, damit es gelingen wird, durch die Kreativität seines Geistes die künftige Menschheitsgeschichte zu prägen. Wir müssen unsere ehrgeizigen Ziele hoch stecken, und wir müssen in der Lage sein, sie umzusetzen. Das Eintreten für solche gemeinsamen Ziele wird ein Beitrag zur Erfüllung jener Verpflichtung sein, die wir gemeinsam für die Zukunft der Menschheit übernommen haben.

Slowenien und Österreich sind durch ihre Geschichte verbunden. Beiden ist er der mitteleuropäische Raum mit seinen Werten und offenen Grenzen gemeinsam. Der EU-Beitritt Sloweniens wird den Bürgern und der Wirtschaft beider Staaten neue gemeinsame Perspektiven eröffnen. Er birgt eine große Chance. Werden wir willens und in der Lage sein, sie zu nützen? Ich freue mich, daß auch Sie sich heute mit dieser Frage auseinandersetzen wollen. Und ich freue mich auf Ihre Antworten.


 

archived page