
SLOWENIEN IST OPFER DES EIGENEN ERFOLGS
Der slowenische Präsident Milan Kucan über den baldigen EU-Beitritt seines Landes und den labilen Frieden auf dem Balkan (Tages-Anzeiger, Zuerich)
Mit Milan Kucan sprach Peter Fürst in Ljubljana
Ljubljana, 3 July 2002
Wann wird Slowenien EU-Mitglied?
Wir halten uns an die vorgeschriebenen Fristen: Bis Ende dieses Jahres werden die letzten Kapitel mit Brüssel ausgehandelt sein. Vieles wird davon abhängen, ob die EU die von ihr selbst anberaumten Fristen wird einhalten können. Wenn alles nach Plan läuft, müsste der EU-Beitritt Sloweniens Ende 2004 erfolgen.
Als viel gelobtes Musterland unter den Beitrittskandidaten wird Slowenien wohl gleich von Beginn weg zu den Nettozahlern in der EU gehören. Das wird innenpolitisch schwer zu verkaufen sein.
Und wie! Letztlich geht es um die Frage, welche Statistiken beigezogen werden. Darüber entscheidet die Europäische Union und sie übersieht dabei einen ganz wichtigen Punkt. Die am wenigsten entwickelten EU-Mitgliedsländer haben ihren derzeitigen Standard - der etwa jenem von Slowenien entspricht - durch Speisungen aus den Brüsseler Strukturfonds erreicht. Unser Land hat sich ohne solche Hilfe auf diese Stufe empor gearbeitet. Man kann sagen, dass Slowenien sollte es zum sofortigen Nettozahler werden ein Opfer seines eigenen Erfolges ist.
Die EU will Slowenien als eine Region behandeln. Ihre Regierung versucht Brüssel das Konzept von drei slowenischen Regionen schmackhaft zu machen, um so an die Gelder der EU-Strukturfonds heran zu kommen. Gilt diese Verhandlungsstrategie weiterhin?
Ja, noch immer. Die Satistiken über Slowenien werden in grossem Mass durch die Region Ljubljana - in Anführungszeichen - kaputt gemacht. Die Hauptstadt und ihr Umland haben eine sehr hohe Entwicklungsstufe erreicht, was nicht für allen Regionen unseres Landes gilt.Das versuchen wir unseren Verhandlungspartnern deutlich zu machen. Die Entscheidung, welches Modell der regionalen Entwicklung gelten wird, fällt aber allein die EU-Kommission.
Für den EU-Beitritt gibt es in Slowenien einen breiten Konsens. Für das zweite vorranginge aussenpolitische Ziel, den Nato-Beitritt, gilt das nicht. In dieser Frage ist das slowenische Volk in etwa zwei gleich grosse Lager von Befürwortern und Gegnern gespalten. Letzteren schwebt eine Neutralität wie etwa in Österreich oder der Schweiz vor. Wie erklären sie diesen die Vorzüge eines Nato-Beitritts ihres Landes?
Dass die slowenische Öffentlichkeit EU- und Nato-Beitritt so unterschiedlich wahr nimmt, hat zwei Gründe. Die Bevölkerung ist gut darüber informiert, was ein EU-Beitritt für unser Land bedeutet - welches sind die Vorteile, welches die Nachteile, welche Alternativen stehen überhaupt offen? Jedes Kind bei uns weiss, wie stark die slowenische Wirtschaft an den Markt der EU gebunden ist. Mit dem EU-Beitritt geht die Hoffnung eines kontinuierlichen Anstiegs des Lebensstandards einher. Da sind, im Gegensatz zum NatoBeitritt, klare Vorstellungen vorhanden. Ab 1991, nach dem 10-Tage-Krieg gegen die jugoslawische Volksarmee und der Unabhängigkeit Sloweniens, ist bei uns der Eindruck entstanden, dass es weder kurz- noch langfristig ein Bedrohungspotential gibt. Es ist die Aufgabe der Politik, einen Dialog zu lancieren, in dem die Vor- und Nachhteile eines Nato-Beitritts erwogen werden - wie das in der Frage der EU erfolgreich geschehen ist. Den Befürwortern der Neutralität würde ich sagen, dass dieses Gut in der internationalen Politik nicht mehr so hoch geschätzt und anerkannt wird. Insofern werden sich auch die Schweiz und Österreich die Frage stellen müssen, ob sie an ihrer Neutralität werden festhalten können.
Der Streit zwischen Deutschland und Tschechien wegen der Benes-Dekrete (siehe Fussmarke) zeigt, wie Altlasten - von Populisten und Nationalisten instrumentalisiert - zu grössten Irritationen zwischen EU-Ländern und Beitrittskandidaten führen können. In Südosteuropa wimmelt es von Altlasten. Beunruhigt sie das Auflodern solch alter Reflexe in Europa?
Es bereitet mir grosse Sorgen, als Staatspräsident, als Slowene und als Europäer. Wir tragen in Europa eine grosse Verantwortung, was die Verwendung der Geschichte in der aktuellen Politik betrifft. Die Aufarbeitung europäischer Geschichte darf nur unter Respektierung der Nackriegsregelung Europas durch die Alliierten in Form des Dialogs geschehen und eben nicht der Konfrontation, die angestrebt wird, um eine europäische Integration zu verzögern oder zu verhindern. Im Leben der breitesten Bevölkerungsschichten sind diese alten Probleme nicht von ausserordentlicher Bedeutung.Die Politik hat sich dieser emotionsgeladenen Themen bedient - und es ist auch die Aufgabe der Politik diesen Tendenzen entgegen zu wirken ohne dabei die Aufarbeitung der Vergangenheit zu verhindern. Das Vergessen darf nicht das Ziel sein. Die Juden sagen, dass das Vergessen die Vertreibung verlängert, die Erlösung sei nur in der Erinnerung zu finden.
Slowenien und sein Nachbarland Kroatien fühlen sich Westeuropa zugehörig und explizit nicht dem Balkan. Die beiden Länder quälen sich seit Jahren mit der Lösung bilateraler Probleme herum. Etwa Fragen um Grenzziehungen, den Meereszugang, die Zukunft des gemeinsamen AKW's Krsko, Bankenguthaben, den von Slowenien verzögerten Autobahnzubringer nach Kroatien. Die Unfähigkeit der beiden Nachbarn, solche Probleme einer Lösung zuzuführen, mutet ausgesprochen balkanisch an.
Zu jenen Problemen, die sich aus der Auflösung Jugoslawiens ergeben haben, sind neue dazu gekommen. Beispielsweise das Verbot für slowenische Unternehmen, Erdölderivate durch Kroatien zu transportieren. Diese schlechte Atmosphäre trägt nicht zur Verbesserung des Klimas bei. Slowenien und Kroatien sollten es vermeiden, sich bei der Lösung der offenen Fragen auf die öffentliche Meinung zu berufen. Wir Politiker haben zielgerichtete Vorschläge zu formulieren und gegenüber der Öffentlichkeit glaubwürdig zu vertreten. Wo die sogenannte öffentliche Meinung zur einzigen Messlatte für die Politik wird, hat sich die Politik bereits verabschiedet. Vielleicht spielt da irgendwo die Balkan-Methodik hinein, auf die Sie mit ihrer Frage aus sind. Sicher aber im Umstand, wenn eine der Regierungen fertig ausgehandelte Vereinbarungen plötzlich von Grund auf neu verhandelt sehen möchten. Das stete Relativieren des Verhandlungsresultats - das ist Balkan-Methodik.
Für Slowenien und Kroatien stellt sich die Schlüsselfrage, ob sie die gleichen mittel- und langfristigen Ziele verfolgen; die Aufnahme in die europäische und euroatlantische Integration. Wir sind in dieser Hinsicht schon weit voraus. Zagreb ist derzeit nicht im Stande, die Möglichkeit zu nützen, die sich daraus ergibt, dass Slowenien die kroatischen Integrations-Ambitionen durchaus unterstützt. Kroatien befindet sich in einer gänzlich unterschiedlichen Situation als Slowenien - auch was die Einbeziehung in den Krieg und die Konfliktursachen betrifft. In Kroatien und in Bosnien-Herzegowina.
Während der Balkan-Kriege gehörten Sie zu den lautstarken Kritikern der EU. Sie bemängelten ihre Unfähigkeit, sich der Probleme vor der eigenen Haustüre adäquat anzunehmen. Inzwischen lehnt sich ja die EU in Südosteuropa sehr weit aus dem Fenster. Sind Sie zufrieden mit dem Brüsseler Lernerfolg?
Die Bemühungen der EU sind bedeutend. Offenbar ist man sich bewusst geworden, dass für die Probleme in Europa in erster Linie die europäischen Länder verantwortlich sind, erst dann die USA und die Vereinten Nationen. Was die hängigen Fragen im ehemaligen Jugoslawien betrifft, stelle ich mir eine grosse europäische Konferenz vor, an der festgelegt wird, wie die Zukunft auf dem Balkan aussehen soll. Für die erzielten Abmachungen müsste die EU die volle Verantwortung übernehmen. Wenn man sich aus einem fahrenden Zug weit aus dem Fenster lehnt, um die Signale gut zu sehen, muss man sehr gut auf die Masten aufpassen. Sie könnten einem den Kopf abschlagen.
Die Regelungen für einzelne Balkanländer, die teilweise von der internatianalen Gemeinschaft mitgetragen werden, wirken sehr provisorisch; Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, oder auch die von der EU ausgedachte Union zwischen Serbien und Montenegro. Sie vertreten die Meinung, dass gerade auf dem Balkan provisorische Lösungen keinen Nutzen bringen. Hinkt da die internationale Politik schon wieder hinterher?
Was auf dem Balkan bisher erzielt wurde, ist die Aufrechterhaltung einer Situation die weder Frieden noch Krieg bedeutet. Das kann kein langfristiger Ansatz sein. Wenn wir die heiklen Themen auf dem Balkan nicht tiefgründiger angehen, ist das schlecht für die EU, den Balkan und den Weltfrieden. Ich könnte die Probleme in den von ihnen angesprochenen Ländern einzeln erörtern. Lassen Sie mich das Beispiel Mazedonien ausführen. Wenn wir die derzeitige Situation mit zwei ethnisch getrennten Territorien akzeptieren, so wird das langfristig auf eine Teilung Mazedoniens hinauslaufen.
Die Kardinalfrage ist, ob Europa die Schaffung von reinen Nationalstaaten toleriert, oder ob sich das modernere Konzept vom Staat der Staatsbürger durchsetzen wird. Solange die EU zu dieser Frage keinen klaren Standpunkt hat, werden die Lösungsansätze nur einen provisorischen Charakter haben.
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