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AVNOJ BESCHLUSS IST TEIL DER EUROPAISCHEN GESCHICHTE
Interview mit Profil Redakteur H.Lackner

Ljubljana, 20 October 2000

Sloweniens Präsident Milan Kucan über die AVNOJ - Beschlüsse, Schüssels Kritik und Heider Klagenfurter Abstimmungsfeiern.



PROFIL: Herr Präsident, im slowenischen Wahlkampf spielte auch das Verhältnis zwischen Slowenien und Österreich eine Rolle. Hat dies das Ergebnis beeinflusst?

KUCAN: Ich habe mir immer gewünscht, dass die Beziehung mit den Nachbarländern im slowenischen Wahlkampf kein Thema sein würde. Im Großen und Ganzen war es auch so. In einer gewissen Phase der Auseinandersetzung ist es aber auch um die AVNOJ-Beschlüsse gegangen. Aber das ist sicher nicht im Mittelpunkt des Wahlkampfes gestanden.

PROFIL: In Österreich gibt es Stimmen - etwa von der FPÖ - die fordern, Slowenien müsse diese AVNOJ-Dekrete wiederuffen, andernfalls werde man ein Veto gegen den EU-Beitritt einlegen.

KUCAN: Die AVNOJ-Dekrete sind von außergewöhnlicher Bedeutung ist für staatliche und rechtliche Kontinuität des neuen Slowenien. AVNOJ war der antifaschistische Rat des Volksbefreiungskrieges Jugoslawiens. In diesen Beschlüssen aus dem Jahr 1943 haben sich die Völker Jugoslawiens verpflichtet, nach dem Krieg weiter in einem gemeinsamen Staat zu verbleiben. Slowenien hatte den Status eine föderativen Republic und auf dieser Basis hat Slowenien 1990 nach dem Plebiszit die Wahl getroffen, ein eigenständiger Staat zu werden. Diese Beschlüsse sind staatsrechtlich für uns also äußerst wichtig, und zwar unabhängig vom ideologischen Charakter der damaligen oder späteren Regierung.

PROFIL: Es geht in der Debatte vor allem um jene zwei AVNOJ-Beschlüsse, durch die der deutschsprachigen Bevölkerung Jugoslawiens Eigentum und Staatsbürgerschaft genommen wurden.

KUCAN: Der Beschluss über die Enteignung wurde im November 1944 verabschiedet, als Folge der Taten, die vom nazistischen Besatzungsregime begangen wurden. Er richtete sich gegen Leute, die mit diesem Regime kollaborierten und ist ein Teil der Regelungen, die von den Alliierten am Ende des Krieges gefasst wurden, etwa auf der Konferenz in Potsdam. Zu diesen Regelungen zählen auch die Benes-Dekrete in Tschechien.

PROFIL: Dabei kam es auch zu Ungerechtigkeiten gegenüber Menschen, die nicht mit den Nazis kollaborierten.

KUCAN: Der Krieg wurde nicht von Slowenien begonnen und wer heute über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit dieser Nachkriegsregelungen diskutieren will, muss auch mit den Alliierten diskutieren. Die Beschlüsse von Potsdam bauten ja auf der kollektiven Schuld der Deutschen auf, während der AVNOJ-Beschlus ausdrücklich nur auf die Schuld derjenigen abzielte, die mit den nazistischen Besatzungskräften zusammengearbeitet haben.

PROFIL: Dennoch wurden auch Unschuldige getroffen.

KUCAN: Natürlich gab es damals auch Ungerechtigkeiten. Es gibt deshalb bei uns einen Beschluss des Verfassungsgerichtshofes: Jeder, der glaubt, dass ihm Ungerechtigkeit widerfahren ist, dass sein Vermögen zu Unrecht enteignet wurde, kann sich an die slowenischen Staatsorgane wenden. Dieser Fehler wird korrigiert, wenn man beweist, dass es keine Kollaboration gegeben hat.

PROFIL: Im Prinzip sind die AVNOJ-Beschlüsse für sie aber ein unabänderlicher Teil der Nachkriegsordnung.

KUCAN: Das ist ein Teil der europäischen und der Weltgeschichte - ein schmerzhafter Teil. Ich kann nur dem beipflichten, was Vaclav Klaus vor ein paar Tagen in Österreich gesagt hat: Überlassen wir das der Geschichte und den Geschichtsschreibern. Für die Zeit, in der wir leben, soll das nur eine Mahnung sein und nichts anderes.

PROFIL: Bundeskanzler Schüssel hat gesagt, sie stünden in dieser Frage mit einem Bein noch im alten Regime. Hat Sie das beleidigt?

KUCAN: Nein. Aber ich habe dadurch eine andere Vorstellung über den österreichischen Bundeskanzler gewonnen, als ich sie früher hatte.

PROFIL: Die Regierungspartei FPÖ droht mit einem Veto zu Sloweniens EU-Beitritt, sollten die in Frage stehenden AVNOJ-Beschlüsse nicht aufgehoben werden. Rechnen Sie damit?

KUCAN: Wenn man in Österreich den eigenen objektiven Interessen folgt, dann erwarte ich keine Schwierigkeiten. Sollte jedoch in Österreich der Geist der Xenophobie überhandnehmen, dann könnte es Schwierigkeiten geben - aber dann nicht nur bezüglich des slowenischen Beitritts, sondern überhaupt bezüglich der Südost-Erweiterung.

PROFIL: Es gab nach Schüssels Kritik an Ihnen, das Gerücht, Sie beabsichtigten, nach Kärnten zu kommen um dort im gemischtsprachigen Teil Kärntens eine Rede zu halten. Stimmt das?

KUCAN: Beide Organisationen der slowenischen Volksgruppe in Österreich haben mich zu einem Besuch eingeladen. Diese Verpflichtung gilt weiter. Es ist mir aber damals ein Besuch in Kärnten ungeeignet erschienen - es war nicht der beste Zeitpunkt war für einen solchen Besuch.

PROFIL: Der Historiker Bozo Repe hat in der Tageszeitung „Delo“ zu den Volksabstimmungsfeiern in Kärnten geschrieben geschrieben, am 10. Oktober 1920 sei das slowenische Kärnten für Slowenien für immer verloren gegangen. Ist das noch immer eine Wunde?

KUCAN: Es ist wichtig, was Bozo Repe geschrieben hat. Dieser Teil Kärntens ist kein Teil des slowenischen Staatsterritoriums geworden und ist im Grunde verloren. Slowenien hat heute keine territorialen Forderungen gegenüber Österreich. Es bleibt aber die Tatsache, dass Kärnten sowohl historisch wie kulturell auch die Wiege des Slowenentums ist. Die Grenze soll auch kein Hindernis darstellen für einen gemeinsamen slowenischen Kulturraum. Es ist dieser Raum ja sehr multikulturell geworden, darüber kann man sich nur freuen, obwohl es gewisse Dinge in Kärnten gibt, die nicht so erfreulich sind.

PROFIL: Darf man da den Landeshauptmann dazu zählen?

KUCAN: Gewisse Standpunkte des Landeshauptmanns, die aber leider nicht nur die seinen sind. Es ist einfach die Nicht-Erfüllung der Erwartungen der Slowenen, die damals für Österreich gestimmt haben für eine demokratische Republik und gegen ein undemokratisches Königreich Jugoslawien.

PROFIL: Um noch einmal „Delo“ zu zitieren: Das Blatt bezeichnete den Aufmarsch zum 10. Oktober in Klagenfurt als einen „Ausdruck militanter nationalistischer Arroganz gegenüber den Mitbürgern slowenischer Nationalität“. Sieht das offizielle Slowenien dies auch so?

KUCAN: Es ist völlig normal, dass ein Land ein solches Ereignis mit einer Feierlichkeit begeht. Leider hat diese Veranstaltung in Klagenfurt nicht die Möglichkeit genutzt, den Blick in die Zukunft zu richten und eine neue Qualität des Zusammenlebens mit den Bürgern slowenischer Herkunft und der Beziehungen zwischen Österreich und Slowenien aufzuzeigen. Glücklicherweise werden die Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten nicht nur durch eine solche Veranstaltung charakterisiert.

PROFIL: Landeshauptmann Haider fordert bei einem EU-Beitritt Sloweniens lange Übergangsfristen, weil sonst viele Arbeitskräfte aus Slowenien auf den Kärntner Arbeitsmarkt strömen würden. Wäre das so?

KUCAN: Haider ist ein österreichisches und kein slowenisches Problem. Wenn das offizielle Österreich diesen Standpunkt zum eigenen erklären würde, wäre das etwas anderes. Wir sind der Meinung, dass Slowenien schon jetzt fast alle Standards der EU erfüllen kann und dass es nicht notwendig ist für Slowenien längere Übergangsfristen zu verlangen. Dieser Einwand über die slowenischen Arbeitskräfte ist einfach Demagogie. Die Arbeitslosenrate in Slowenien ist nicht sehr hoch. Die Löhne und Gehälter bleiben hinter dem österreichischen Durchschnitt nicht weit zurück und Österreich ist das größte Investorland in Slowenien. Leider wird überwiegend in den Banksektor investiert. Man könnte vielleicht sagen, dass Österreich das slowenische Geld gern sieht, nicht aber die slowenischen Arbeitskräfte. Für Österreich bedeutete die Aufnahme Sloweniens auch zusätzliche Sicherheit für das eigene Territorium. Man muss ja auch wissen, dass die Situation auf dem Balkan derzeit weder Krieg noch Frieden ist und dass sämtliche Wege vom Balkan über Slowenien nach Österreich führen.

PROFIL: Würden Sie die Beziehungen zwischen Österreich und Slowenien insgesamt belastet sehen?

KUCAN: Nein. Mit Bundespräsident Klestil verbinden mich sehr gute Beziehungen. Ich habe ihn während der Koalitionsverhandlungen aufmerksam beobachtet und seine Standpunkte unterstützt. Die guten Beziehungen, die es mit Österreich gibt, basieren sehr viel auf persönlichen Kontakten, da will ich vor allem jene zu Nationalratspräsident Heinz Fischer hervorheben. Für Slowenien ist Österreich ein sehr wichtiges Nachbarland, das auch viel Gutes für Slowenien getan hat in schwierigen Zeiten. Wenn da einige Leute Störungen verursachen, soll man das nicht als schwerwiegend betrachten.


 

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